Ich bin ein Kind der Nachkriegszeit, geboren 1958 im neutralen Österreich.
Krieg kenne ich nur aus den Erzählungen, vor allem aus meiner Kindheit, als die Erinnerungen an den 2. Weltkrieg noch frisch waren.

Da heute vieles anders dargestellt wird möchte ich meine Erlebnisse und Erfahrungen hier aufschreiben.
 
In den 1960ern und 1970ern wurde noch viel über den Krieg gesprochen, vor allem von den mittelalterlichen und älteren Männern. 
Mag sein, daß an manchen Stammtischen der verlorene Krieg bejammert wurde, da war ich als Bub ja nie dabei.
Aber in den Gesprächen, die ich mitbekommen habe, da ging es hauptsächlich um das Grauen des Krieges, um die Gefahren, die Verwundungen, den Tod, den Hunger, die Kälte und vor allem die Angst. Die Veteranen, denen ich zugehört habe, von denen wollte niemand einen neuen Krieg.
Viele wurden vom Trauma Krieg lebenslang nicht losgelassen.
Eine ganze Generation, also die, die überlebt hatten, war schwer traumatisiert.
Auf den Straßen sah man noch viele Kriegsversehrte, ohne Arme oder Beine.
Besonders erschreckend waren die, die beide Beine verloren hatten. Die fuhren in kleinen Wägelchen, wo sie sich mit Armkraft (eine Art von Liegend-Fahrrad) langsam fortbewegen konnten. Auf dem damaligen Straßenbelag (Pflastersteine, kein Beton oder Asphalt) war das sehr mühsam und holprig. Es gab tausende von ihnen. Für sie war keinerlei körperliche Arbeit mehr möglich. Heute denkt man bei solchen Menschen an Motorradunfall-Opfer oder ähnliches. Damals war klar, was los war.
Mein Deutsch-Professor im ersten Jahr am Schopenhauer-Gymnasium Mag. Karl Siebert hatte Glück gehabt, ihm fehlte "nur" eine Hand. Er konnte mit der anderen an der Tafel schreiben und so seinen Beruf ausüben.
 
Aus dem Schuljahrgang meiner Mutter (1922-1996) an der Volks- und Bürgerschule Neulengbach in Niederösterreich sind nur 2 von ca. 40 männlichen Mitschülern aus dem Krieg zurückgekommen. Die anderen sind in Stalingrad oder dann in der Gefangenschaft elend gestorben.
Es gab daher großen Mangel an jungen Männern, die grade für den Aufbau nötig gewesen sind. Denn, wie heute, gab es in der Baubranche, im Transportgewerbe, in den Bergwerken, usw. kaum Frauen.
Das waren die realen Probleme damals.
 
Viele Frauen in den Ballungsräumen waren lebenslang vom Bombenkrieg traumatisiert, viele haben noch im hohen Alter davon erzählt.
So auch meine Mutter, die, damals 22 Jahre alt, während des Krieges eine Fachschule in Wien besucht hat. Sie wohnte während der Woche bei einer bekannten Familie in der Cumberlandstraße 75 im 14. Bezirk. Diese liegt direkt neben dem Frachtenbahnhof Penzing und der wurde von den Bomberverbänden gezielt angegriffen. Das Haus Cumberlandstraße 77, von der Nr. 75 durch die Jenullgasse getrennt, erhielt einen Volltreffer und wurde völlig zerstört. Meine Mutter saß mit vielen anderen Menschen im Keller des Hauses Nr. 75. Sie hat oft erzählt, daß die Kellermauern geschwankt haben, wie die Äste eines Baumes in einem Sturm. Als ihre Knie zu zittern begannen versuchte sie sie mit ihren Händen festzuhalten - und schaffte es nicht.

Eine meiner Tanten, Maria Markl (1912-2004) lebte damals als Bäuerin im Dörfchen Buttendorf bei Zwentendorf im Tullnerfeld in Niederösterreich. Das war für die allierten Bomberstrategen völlig uninteressant. Aber sechs Kilometer weiter südöstlich gab es in Moosbierbaum eine Fabrik zur Herstellung von hochoktanigem Flugbenzin. Die war kriegswichtig und wurde daher von den Bomberflotten bis Kriegsende massiv angegriffen. Noch im hohen Alter hat mir die Tante erzählt wie sie jedesmal bei Fliegeralarm mit ihren fünf Kindern zu einem Bunker in einem Nachbardorf gelaufen ist. Der älteste Sohn war damals zehn, die jüngste Tochter schob sie noch im Kinderwagen.

Und viele Frauen waren auch durch die Vergewaltigungen durch die Besatzungssoldaten gezeichnet. Zwei aus meiner näheren Verwandtschaft R. O. und A. H.) gehörten da auch dazu. Ich weiß, daß die deutschen und verbündeten Soldaten im Osten nicht besser waren, das hat aber nichts an der Angst der österreichischen Frauen geändert.
Das waren die Probleme damals.
Meine Mutter mußte sich monatelang auf dem Heuboden im alleinstehenden Elternhaus verstecken, damit die immer wieder einquartierten Sowjetsoldaten sie nicht fanden. Wenn es ganz kritisch wurde flüchtete sie in die "Marienvilla", ein Nachbarhaus, etwa 400 Meter entfernt. Dort lebte eine Beamtensgattin, die aus dem heutigen Slowenien stammte und sich daher mit den russischen Soldaten verständigen und diese wegschicken konnte. Dort blieb meine Mutter dann einige Tage, bevor sie es wagen konnte wieder zu den Eltern zurückzukehren. Das hat meine Mutter dieser "Höfrätin" lebenslang gedankt.
 
Mein Großvater Johann Ofner (1876-1947), christlichsozialer Bauernbündler, Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Grabensee von 1907-1938 und Bauernkammerobmann von Neulengbach von 1922-1938 wurde nach der deutschen Okkupation von den Nationalsozialisten verfolgt, geschlagen und inhaftiert. Nur mit Glück hat er die Diktatur überlebt. Trotzdem wäre er 1945 beinahe von Sowjetsoldaten erschossen worden, weil diese bei der Plünderung seines Bauernhofes auch eine Uniformjacke fanden und ihn deshalb für einen Nazi hielten.
 
Am öftesten aber hat mein Vater (1906-1996) vom Krieg erzählt. Er war schon vor Kriegsbeginn eingezogen worden und hat vier Jahre Krieg im Osten als Unteroffizier in einer Panzergrenadiereinheit miterlebt. Das hat ihn nie losgelassen. Aber es waren keine Heldengeschichten, die er erzählt hat, sondern Geschichten von Todesgefahr, Hunger, Kälte und Angst. Und er hat von fanatischen Nazis in der Armee erzählt, mit denen er, der überzeugte Österreicher, mehrmals aneinandergeraten ist. An den Verbrechen der Nazis im Osten gab es daher nie Unklarheiten in unserer Familie, war mein Vater doch Zeuge von Judenerschießungen geworden. Ganz zum Schluß, die Einheiten begannen sich bereits aufzulösen, geriet er noch mit der SS, die als Feldgendarmerie fungierte, aneinander, die einige halben Kinder wegen "Feigheit vor dem Feind" erschießen wollten. Hätte der Krieg noch länger gedauert, wäre er dafür wohl hingerichtet worden.
Das letzte was sich mein Vater gewünscht hätte war ein neuer Krieg.
 
Ich kann mich auch noch gut an die Angst im Jahr 1968 ("Prager Frühling" bzw. dessen Niederschlagung) erinnern, daß "die Russen" wiederkommen. Als Kind habe ich das damals kaum verstanden, aber die Angst, vor allem der Frauen, war sehr real.

Österreich war damals eine "Insel des Friedens", aber jeden Tag gab es im Radio Berichte über den Vietnamkrieg.
 
Es war die große Zeit des jungen Fernsehens, wo Heinz Conrads (1913-1986), und Hans Joachim Kulenkampf (1921-1998) zu ungeheurer Popularität gelangten.
Einer stand noch über ihnen allen: Peter Alexander (1926-2011)
Der wäre wohl jederzeit zum Bundespräsidenten gewählt worden, falls er das gewollt hätte.
Aber damals gab es noch kaum Verquickungen zwischen Medienwelt und Politik.
In späteren Jahren hat dann mancher minderbegabte "Künstler" versucht, mittels Kritik an ihm zu mehr Bekanntheit zu gelangen. Manche mit der absurden "Anschuldigung" Alexander stünde für "die heile Welt".
Nun, genau das entsprach dem Bedürfnis der Menschen zwischen 1945 und 1980, sie wollten vom Krieg und der anfänglichen Not nichts mehr hören, von ihren Traumata abgelenkt werden - und sei es nur für die zwei Stunden der "Peter Alexander Shows". Dafür wurde er von Millionen geliebt.
Und ich denke, seine Lieder, seine Parodien und seine Sendungen werden noch lange gespielt werden, auch dann noch, wenn man seine Kritiker und Neider schon lange nicht mehr kennen wird.

Ich habe manches mitgenommen aus meiner Kindheit. Darunter auch die Botschaft der Zeitzeugen was Krieg wirklich bedeutet.
Und deshalb darf Österreich nie wieder in einen Krieg gezogen werden - unter welchem Vorwand auch immer.
Wir müssen unsere Neutralitität unter allen Umständen bewahren.
Daß das möglich ist, sieht man ja an der Schweiz, die seit 200 Jahren keinen Krieg mehr erlebt hat.
 
NIE WIEDER KRIEG !