von Günter Ofner

 

Bis 1918 hat der Erbadel auch in Österreich eine dominierende Rolle gespielt. Ein wesentliches Merkmal dieses Erbadels war die Endogamie, also die Verpflichtung nur innerhalb der eigenen sozialen Schichte zu heiraten.
Kurz: Man blieb unter sich.

Vermögen, Rechte und Ämter blieben damit langfristig für diesen Erbadel reserviert, nur unter besonderen Bedingungen gelang Nichtadeligen der Aufstieg in diese politisch herrschende Schichte.
Das Herrenhaus war dem Erbadel vorbehalten, die Ministerpräsidenten und Landesstatthalter war durchwegs Adelige, ebenso die röm.-kath. Bischöfe. Und auch im Reichsrat, in den Regierungen und selbst bei den Bezirkshauptmännern spielten Adelige eine wichtige Rolle. 

Mit der Adelsabschaffung 1919 war dann alles anders. Wohl gab es keine Enteignung des Adels, aber mit den "erblichen" politischen Ämtern, der Dominanz in der Politik war es vorbei. Das galt nicht nur für die Lager der Sozialdemokraten und Deutschnationalen, sondern selbst bei den Christlichsozialen übernahmen Bauern und Gewerbetreibende die Kontrolle. Eine Zeitenwende!
Die führende politische Schicht wurde praktisch komplett ersetzt.

 

Wie sieht das heute, 100 Jahre später, aus?

Der Adel ist politisch nicht wiedergekommen. Aber ab etwa 1970 haben sich erstaunliche neue Strukturen, in Richtung einer erblichen Politikerklasse, gebildet.

 

Begonnen hat das in den Bundesländern:

Josef Krainer senior, ÖVP (1903-1971) amtierte von 1948-1971 als Landeshauptmann der Steiermark. Sein Sohn Josef Krainer junior, ÖVP (*1930) folgte ihm in diesem Amt in der Zeit von 1980–1996 nach.

Wilfried Haslauer senior, ÖVP (1926-1992) amtierte von 1977–1989 als Landeshauptmann von Salzburg. Sein Sohn Wilfried Haslauer junior ÖVP (*1956) folgt ihm seit 2013 in diesem Amt nach.

Eduard Wallnöfer, ÖVP (1913–1989) amtierte von 1963–1987 als Landeshauptmann von Tirol. Sein Schwiegersohn Herwig van Staa, ÖVP (*1942 ) war zuerst Bürgermeister der Landeshauptstadt Innsbruck (1994-2002) und anschließend von 2002–2008 Landeshauptmann von Tirol.

 

Das funktioniert auch zwischen verschiedenen Bundesländern:

Hans Sima, SPÖ (1918-2006) amtierte von 1965–1974 als Landeshauptmann von Kärnten. Seine Enkelin Ulrike (Ulli) Sima, SPÖ ist seit 2004 Stadträtin in der Wiener Landesregierung. Von 2006-2008 war sie mit Christian Oxonitsch, SPÖ (*1961) verheiratet. Er war von 2009-2015 amtsführender Stadtrat in der Wiener Landesregierung und ist seither Klubchef des Wiener SPÖ-Landtagsklubs.

 

Aber es gibt auch viele verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Landes- und Bundespolitikern:

Christof Zernatto, ÖVP (*1949) war von 1986-1989 Abgeordneter zum Nationalrat, danach bis 1991 Landeshauptmann-Stellvertreter in Kärnten und von 1991 bis 1999 Landeshauptmann von Kärnten. Danach gehörte er bis 2002 wieder dem Nationalrat an. Sein Großonkel Guido Zernatto, VF (1903-1943) war ab 1934 Staatssekretär in der autoritären Regierung Schuschnigg und 1938 kurzzeitig Bundesminister.

Erwin Pröll, ÖVP (*1946) amtiert seit 1992 als Landeshauptmann von Niederösterreich. Sein Neffe Josef Pröll, ÖVP (*1968) war von 2003-2008 Bundesminister für Landwirtschaft und Umwelt. Von 2008-2011 war er Finanzminister und Vizekanzler der Republik.

 

Besonders engmaschig sind diese verwandtschaftliche Verflechtung in Wien:

Peter Schieder, SPÖ (1941-2013) war von 1973-1984 amtsführender Stadtrat in der Wiener Landesregierung, danach bis 2006 Abgeordneter im Nationalrat. Sein Sohn Andreas Schieder, SPÖ (*1969) war von 2008-2013 Staatssekretär für den öffentlichen Dienst bzw. danach im Finanzministerium. Seit 2013 ist er Klubobmann im Parlament. Seine Lebensgefährtin ist Sonja Wehsely, SPÖ (*1970), seit 2004 amtsführende Wiener Stadträtin. Tanja Wehsely, SPÖ (*1972) ist die Schwester von Sonja Wehsely und seit 2009 stellvertretende Vorsitzende des SPÖ-Klubs im Wiener Landtag.

Andreas Mailath-Pokorny, SPÖ (*1959) ist seit 2001 amtsführender Stadtrat in der Wiener Landesregierung. Seit 2005 ist er mit Sonja Kato, SPÖ (*1972) von 2001-2010 Abgeordnete zum Wiener Landtag verheiratet.

Johann Hatzl, SPÖ (*1942-2011) war von 1979-1996 amtsführender Stadtrat in Wien, danach Klubobmann des SPÖ-Landtagklubs und von 2001-2008 1. Landtagspräsident. Seine Frau Eva-Maria Hatzl (*1953) war ab 2009 Landtagsabgeordnete in Wien und von 2014-2015 Bezirksvorsteherin von Wien-Simmering.

Werner Faymann, SPÖ, (*1960) war von 1994-2007 amtsführender Stadtrat in der Wiener Landesregierung, danach bis 2008 Verkehrsminister der Republik Österreich und schließlich von 2008-2016 österreichischer Bundeskanzler. Seine Frau Martina Ludwig, SPÖ (*1967) ist seit 1996 Abgeordnete zum Wiener Landtag.

 

Norbert Steger, FPÖ (*1944) war von 1979-1986 Abgeordneter zum Nationalrat und von 1983-1987 Vizekanzler und Handelsminister. Seine Tochter Petra Steger, FPÖ (* 1987) ist seit 2013 Abgeordnete zum Nationalrat.

Besonders bemerkenswert ist die Karriere bei Bundespräsident Heinz Fischer. Sowohl seine väterliche- wie auch seine mütterliche Familie haben bereits Regierungsmitglieder hervorgebracht:

Heinz Fischer, SPÖ (*1938) war ab 1971 Abgeordneter zum Nationalrat, von 1975-1983 und 1987-1990 Klubobmann im Parlament, von 1983–1987 Wissenschaftsminister, von 1990 bis 2002 Präsident des Nationalrats und von 2002-2004 Zweiter Nationalratspräsident. 2004 wurde er zum Bundespräsidenten gewählt und übt dieses Amt bis 2016 aus.
Sein Vater Rudolf Fischer, SPÖ war von 1954-1956 Staatssekretär im Handelsministerium. Heinz Fischers Onkel Otto Sagmeister, SPÖ (1906-1985) war von 1947-1949 Minister für Volksernährung.

 

Familiäre Verbindungen funktionieren sogar über Parteigrenzen hinweg:

Gertrude Fröhlich-Sandner, geb. Kastner, SPÖ (1926-2008) war ab 1959 Wiener Landtagsabgeordnete, von 1965-1984 amtsführende Stadträtin und von 1969–1984 außerdem Vizebürgermeisterin und Landeshauptmann-Stellvertreterin von Wien. Von 1984-1987 war sie Bundesministerin für Familie, Jugend und Konsumentenschutz. 1971 heiratet Sie Josef Fröhlich, ÖVP (*1925) der von 1964-1971 Wiener Landtagsabgeordneter und auch danach hoher Funktionär der Wirtschaftskammer war.

 

Wie sieht das international aus?

In Griechenland beispielsweise dominierten die Familien Karamanlis (2 Ministerpräsidenten) und Papandreou (3 Ministerpräsidenten) jahrzehntelang die Politik.

In Deutschland ist Bundesministerin Ursula von der Leyen die Tochter des langjährigen Ministerpräsidenten von Niedersachsen Ernst Carl Julius Albrecht.

In Kanada ist Premierminister Justin Trudeau der Sohn des langjährigen Premierministers Pierre Trudeau.

Besonders ausgeprägt ist das erbliche Politikertum in den USA. Schon der sechste Präsident war der Sohn des zweiten (Adams) und auch im 20. Jahrhundert prägten Familiendynastien wie Kennedy und Bush die Politik.
Da fast alle Präsidenten der reichen Oberschicht angehören sind auch fast alle bisherigen Präsidenten miteinander verwandt.
Gerade in einem Staat wie der USA, ohne Adel und seit der Gründung eine Republik, ist das bemerkenswert. Es zeigt die weltweite Tendenz zur Bildung einer erblichen politischen Oberschicht, die oft mit der finanziellen Oberschicht eng verwoben ist.

 

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Günter Ofner
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