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Warum die eigenen Vorfahren ausgewandert sind, ist oft unklar.
Aber die Gründe und Motive vieler Auswanderer sind bekannt.

1. Mit der Aufhebung der Grundherrschaften 1848/50 war es jedem freigestellt auszuwandern ohne dafür eine (kostenpflichtige) Erlaubnis einholen zu müssen.

2. Mit der Bauernbefreiung 1848/50 kamen viele Bauern nicht zurecht. Sie verloren ihre Höfe und wanderten ab. Die verbleibenden Bauernwirtschaften wurden größer. Damit sank die Zahl der Bauern.

3. Das rasche Wachstum des Eisenbahnnetzes ab ca. 1850 brachte einen "Globalisierungsschub". Nun konnten auch schwere Güter rasch und billig über weite Strecken transportiert werden. 1850 fielen die letzten Binnenzölle in Österreich-Ungarn. Die Warenströme schwollen an.
Getreidebau in schlechten Lagen war nun nicht mehr sinnvoll, weil die Getreideimporte aus den Ebenen den Markt beherrschten. Ähnliches galt für die Viehzucht. Lokale Versorgung hatte (wie heute) keinen Stellenwert mehr.
Damit gaben viele Bauern auf. Manchmal kauften Adelige oder Industrielle ganze Dörfer auf und verwandelten sie in Jagdreviere. Peter Rosegger hat das in 'Jacob der Letzte' beschrieben.

4. Die beginnende Automation löschte binnen weniger Jahrzehnte ganze Berufe aus. Die (davor zahlreichen) Weber sind da ein gutes Beispiel dafür. Auch die Zahl der Fuhrleute nahm (durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes) ab. Die Treidler an den Flüssen verschwanden völlig.

5. Das 19. Jahrhundert ab 1815 war für die Österreichischen- und Böhmischen Länder außergewöhnlich friedlich. Die paar Monate als 1866 die Preußen einmarschiert sind fallen nicht ins Gewicht.
D.h. die lange Friedenszeit hat Überbevölkerung ausgelöst.
Grund und Boden sind nicht vermehrbar. D. h. auch die Kinder wohlhabender Bauern, die den Hof nicht geerbt hatten, mußten auswandern, falls sie Bauern bleiben wollten. D.h. sie hatten durchaus Geld für einen Kauf eines eigenen Hofes - oft weit entfernt vom Heimatort.

6. Mit der Pockenimpfung (Vaccination) ab 1802 verschwand diese gefürchtete Seuche, die Pest war bereits verschwunden, Typhus, Ruhr und Cholera (ab 1830) wurden durch die Hygienemaßnahmen zurückgedrängt. D.h. mehr Kinder überlebten.

7. Das Aufblühen der Industrie, z.B. in Steyr, der Obersteiermark, Oberschlesien, Ostrau, Ruhrgebiet usw. zog Hunderttausende an. Denn es war sowohl lukrativer als auch angesehener Arbeiter zu sein als Knecht/Magd.

8. Mit dem raschen Wachstum der Städte nahm auch der Bedarf an Dienstboten dort zu. Und es war lukrativer und auch angesehener Dienstmädchen in einer Stadt zu sein als Magd in einem Dorf. Außerdem waren in den Städten die Heiratschancen besser.

Diese Entwicklungen gab es in ganz Mitteleuropa.



Das hier ist natürlich nur ein kurzer schematischer Überblick.
Alle Leser sind herzlich eingeladen, mir Ergänzungen mitzuteilen und mich auf Fehler und Irrtümer meinerseits aufmerksam zu machen.

Im Juniheft 2020 der 'Sudetendeutschen Familienforschung' (Band XV, Heft 3, Seiten 112-123) wurde meinen Artikel 'Menschenströme. Einwanderer nach und Auswanderer aus Böhmen, Mähren und Schlesien zwischen 1500 und 2004, eine Übersicht' veröffentlicht.

Günter Ofner
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Kategorie: Betrachtungen
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